Nachdem der Blog ja nun schon eine Weile läuft, stoße ich auch einmal hinzu und trage einen "kleinen" Essay bei. Erfahrungsberichte über Fleischgelüste oder den Einkauf beim Biosupermarkt gibt es ja schon, also werde ich mich mal an einer Aussage über die Antriebe zum Vegetarismus versuchen.
Angefangen hat es wahrscheinlich in der 11. oder 12. Klasse, als ein Mitschüler in Philosophie eine ganze Unterrichtseinheit über Tierethik geleitet hat. Christoph war zu dem Zeitpunkt gerade Veganer geworden und nicht schlecht darin, diese Position aus moralischen Argumenten herzuleiten. Interessant fand ich es vor allem auch deshalb, weil er - bzw. die von ihm zitierten Philosoph*innen - keinen moralisch überhöhten Fleischverzicht um jeden Preis forderten, sondern im Falle des drohenden Hungertodes in der Wildnis das Töten von Tieren jederzeit für gerechtfertigt halten würden. Nur ist diese Situation in unserer heutigen Gesellschaft de facto nicht vorhanden - wir können auch vegetarisch (und sogar vegan) ohne Hunger oder Gesundheitsprobleme wunderbar leben.
Das ethische "Totschlagsargument" im doppelten Wortsinne stellt dabei wie eigentlich in allen ethischen Diskussionen des Themas immer die Frage dar, wie man es verantworten/begründen kann, ein empfindendes Lebewesen zu töten (/ihm Leid zuzufügen) mit dem einzigen Vorteil des flüchtigen Genusses. Anders ausgedrückt kann man es als ein Problem unterschiedlicher Hierarchieebenen darstellen: Während Genuss lediglich eine Luxusvariante innerhalb der Nahrungszunahme ist, auf die im Sinne des Selbsterhaltungstriebes verzichtet werden kann, ist eben dieser ein grundlegendes Motiv für alle Lebewesen und mündet in moralischen Systemen in Formulierungen à la "Recht auf Leben", dem Tötungsverbot etc. In klassischen Systemen sind Tiere dabei ausgeschlossen, neuere Philosoph*innen beziehen es jedoch ausdrücklich mit ein.
Schön provokant begründet dies Peter Singer, der sicherlich nicht meine volle Unterstützung hat, jedoch wunderbar zuspitzen kann: Er hinterfragt zunächst die Argumentationen, die "den Menschen" von "den Tieren" abgrenzen, um dann zu fragen, warum wir denn fühlende, empfindende Lebewesen mit Bewusstsein (Tiere) umbringen und essen, (erwiesenermaßen) nicht fühlende, nicht empfindene Lebewesen ohne Bewusstsein (behindert geborene Kleinkinder) mit aller Macht am Leben erhalten. Tatsächlich plädiert Singer dort auch dafür, die Tötung solcher Nachkommen in der ersten Zeit nach der Geburt als Abtreibung und somit als legal zu betrachten, möchte jedoch mit dien gedanken eigentlich auf die Schaffung eines Bewusstseins für die Tierrechtsproblematik bei seinen Leser*innen sorgen.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich bereits damit geliebäugelt, mich als Vegetarier zu probieren, entschied mich jedoch - anders als ein Freund von mir, der in Folge des Referates Vegetarier wurde - aus verschiedenen Gründen dagegen. Neben Bequemlichkeit zählten dabei vor allem zwei Argumentationslinien: Die des Genusses des Fleischverzehrs, was mit einem wirklich guten Koch als Vater und Lieblingsgerichten, die sehr oft Lamm enthalten, recht schnell einleuchtete, sowie eine gewisse Arroganz gegenüber moralischen Erkenntnissen: Ich argumentierte mir selbst gegenüber, dass ich mir doch wenigstens ein Laster/ eine "Nichtperfektheit" leisten könnte. Schließlich rauchte ich nicht, trank Alkohol nur in Maßen und führte auch sonst kein allzu ausschweifendes Leben. Wenigstens das bisschen Fleisch essen, das sollte doch wohl erlaubt sein?
Nach dem Umzug nach Berlin änderte sich diese Haltung nochmals. Längst auf der Verstandesebene vom Vegetarismus überzeugt, verteidigte ich die Geschmacksargumente jedoch weiterhin mit verve. Lea und ich begannen, nur noch selten und dann gutes, wenn möglich Biofleisch zu kaufen - auch um zumindest nicht ganz so arg "schuldig" zu sein. Letzten Endes beschränkte sich unser Fleischkonsum auf etwas gutes (rotes, da mir grundsätzlich eh fast nur dieses wirklich "schmeckt") Fleisch, etwas Salami und ab und zu einen Döner. Parallel dazu wurde ich in der Uni konfrontiert mit einigen vegetarischen Kommiliton*innen, die sehr konsequent auch auf für mich unbekannte Aspekte (tierisches Lab in Käse) achteten.
Ein letzter Punkt war schließlich der Besuch zweier veganer Freundinnen von Lea, die sich während ihres Berlinurlaubs bei uns einquartierten und uns vorlebten, dass es - zumindest in Berlin - kein Problem ist, an vielfältige und leckere vegane Gerichte zu kommen. Auch zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht von veganen Argumenten überzeugt, die ich allerdings langsam aus der Sektiererecke rückte und auf eine vernünftige Grundlage stellte. Tatsächlich beeindruckend fand ich es aber als Beispiel dafür, was Menschen für ihre moralischen Überzeugungen aufzunehmen bereit sind, ohne dabei groß darunter zu leiden. Es war sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Wenn die das können, schaffen wirs auch - zumindestens vegetarisch!
Lea und ich grillten eine Woche darauf am 8.05. im sonnigen Park unser letztes Stück (Bio-Lamm-) Fleisch und leben nun seit dem 9.05. rein vegetarisch - faszinierenderweise exakt zeitgleich mit Lara und Lars, obwohl wir zuvor nicht von unseren Plänen untereinander gesprochen hatten. Ein lustiger, aber vielleicht nicht ganz bedeutungsloser Zufall - oder wie die ZEIT es in einer Rezension von "Tiere essen" ausdrückte: "Nichts ist so verführerisch wie eine Idee, dessen Zeit gekommen ist".